Regie | Carlos Reygadas |
Kinostart | 20.07.2006 |
Der Film verletzt in vielerlei Hinsicht das, was man den guten Geschmack nennt, meint Barbara Schweizerhof. "Die Zusammenstellung von pornographischen Elementen und hölzernem Laienschauspiel, von hoch-artifizieller Kameraarbeit und dokumentierten Szenen über Katholizismus und Fußball in Mexico City, dazu eine Handlung, die man mehr erahnen muss als dass sie erzählt wird - das alles machte den Film des Mexikaners Carlos Reygadas letztes Jahr in Cannes zum anstößigsten, das heißt zum meist diskutiertesten Werk des Festivals. Und diese Auszeichnung, die Gemüter in Wallung gebracht zu haben, sollte denn auch kein offizieller Preis mehr eintrüben."
Unwirklich schön ist BATTLE IN HEAVEN für Bert Rebhandl. Der Regisseur zeigt, was Mexico-City "aus den Menschen macht: Sie werden zu Zombies, wie Marcos, der einem Untoten gleich bis an das Ende dieser Geschichte geht. Weil er schon in einer ganz anderen Welt lebt, weil seine Schlacht im Himmel ausgefochten wird und nicht auf Erden, gibt es keine Möglichkeit, ihn aufzuhalten. Es gibt wohl nur wenige Regisseure im gegenwärtigen Weltkino, die ihr eigenes Universum so gottgleich beherrschen wie Carlos Reygada: "Battle in Heaven" ist geprägt von einer überwältigenden, unwirklichen Schönheit, die sich perfekt in eine Ästhetik des Untergangs fügt."
Daß es dem Regisseur um eine religiöse Aufladung geht, bleibt Cristina Nord nicht verborgen. "BATTLE IN HEAVEN schließt den expliziten Sex mit der religiösen Hingabe, die sexuelle mit der religiösen Erregung kurz. Das ist radikal, keine Frage, zugleich wirkt es aber wie eine Geste aus einer anderen Zeit. Reygadas beharrt auf einer Transgression, die jenseits eines stockkatholischen Kontexts überkommen anmutet. Was sagt ein Schwenk, der von nackten, postkoitalen Leibern auf ein Jesusbild an der Schlafzimmerwand führt? Geht es dabei um die Erfahrung des Göttlichen, von Transzendenz im Sex? Und wenn das so ist: Läuft Reygadas nicht Gefahr, durch die provokante Geste die subtileren Konnotationen auszustreichen?"
Das Protokoll einer Implosion sah Jan Schulz-Ojala. "Ja, da ist der frühe Buñuel und der späte Tarkowski, da sind Augenblicke des mittleren Kiarostami und Ewigkeiten des unendlichen Béla Tarr. Ja, da ist eine extreme, ausgestellte Absicht in jedem Bild, und die Schocks sind exakt gesetzt. Aber da ist auch Zeit in den Szenen (etwa wenn die Kamera während eines Liebesakts am Nachmittag ins Freie hinausvagabundiert und ihr Blick über mattgraue Hinterhoffassaden streicht, bevor sie zurückkehrt zu den still gewordenen Körpern) und das Abenteuer, wie diese Szenen sich auflösen oder unmerklich in eine nächste übergehen. Und auch der Mut imponiert, alles anzuhalten..."
Für Daniel Kothenschulte ist der Film eine geschmackliche Grenzerfahrung. BATTLE IN HEAVEN ist ein Film, "der den Verdacht des Spekulativen, den das Plakat so früh erweckte, über die gesamte Laufzeit nicht entkräften kann, ja vielmehr mutwillig erneuert. Und der doch für jeden berechtigen Zweifel wiederum ein Positivum in die Waagschale wirft: ein Bild, einen Klang, eine unerhört-gegensätzliche Komposition aus beidem, wie sie das mexikanische Kino zu Zeiten Buñuels zu Recht berühmt machten. Und gegenwärtig wieder zu einem der wichtigsten Orte für die Filmkunst überhaupt werden lassen."
Laut Marion Pietrzok stellt der Regisseur "nicht nur den individuellen Konflikt dar, sondern bringt unaufdringlich und mit desto größerer Schärfe Gesellschaftskritik zum Ausdruck. Er lässt den Schmutz des modernen Mexikos passieren, die sozialen Missstände, die Kluft zwischen Arm und Reich, die Rolle des Katholizismus, die Morallosigkeit der Jugend und zeichnet den Weg eines Verlorenen. Ein trauriger, fast abgeklärter Blick auf menschliche Einsamkeit, wenn die andere Seite in uns die Oberhand gewonnen hat. Insofern gehört Reygadas ganz zu einer subversiven Protestgeneration."
Die Rituale und Symbole führen hier so gut wie immer zu einem besonders hinterhältigen und/oder obszönen Scherz, kritisiert Tina Heldt. "Der Film stellt sich deutlich in eine, wenn man so will typisch lateinamerikanische, karnevaleske Tradition. Die in Militärparaden oder religiösen Prozessionen repräsentierten Hierarchien werden mit beiläufigen Sex-Mord-Tumulten lustvoll umgekehrt. Man sollte den Film mit einem bösen Humor sehen, wenn man Spaß daran haben will, so sturzbesoffen und böse wie zum Beispiel der Konsul in Malcolm Lowrys UNTER DEM VULKAN durch Mexiko torkelte. Und den Staat Mexiko, Staaten überhaupt, scheint Reygadas nicht besonders zu mögen."
Als Menetekel einer Zukunftslosigkeit sieht Jan Schulz-Ojala diesen Film. "In Reygadas' Film sind die fast stummen Täter ein altes Ehepaar, Kolosse der Gefühllosigkeit - und dass dem Mann noch (sehr expliziter) Sex mit der losen Tochter seines Chefs geschenkt wird, stürzt ihn bald noch tiefer in die Hölle. BATALLA EN EL CIELO ist ein strenger, faszinierender, kalter Film, der mit aller Gelassenheit alles wagt."
Als Pseudo-Sex-Skandal bezeichnet Anke Westphal die ganze Sache. "Umflattert von allerlei vornehmlich angloamerikanischer Aufregung entwirft Reygardas in "Batalla en el cielo" ein ebenso wuchtiges wie kaltweiß überbelichtetes Bild des heutigen Mexiko: Klassenunterschiede, Volksfrömmigkeit, Liebe und Gewalt umhüllt der Regisseur grandios allegorisch mit der mexikanischen Staatsflagge, die zu Beginn und Ende des Films eingeholt wird."
Für Christina Nord hat der Regisseur die Rolle des Enfant terrible nicht einnehmen können. "Gefilmt ist das auf eine bisweilen sehr aufregende Weise. Die Einstellungen sind zunächst oft starr, dann löst sich die Statik in einer Kamerabewegung auf, dem Kameramann Diego Martínez Vignatti gefallen die extravaganten Fahrten und Schwenks. Hinzu kommt eine interessante Arbeit an der Tonspur; manche Geräusche werden hervorgehoben ... Reygadas' wirkliches Problem aber ist, wie er mit seinen Laiendarstellern umgeht. ... hier wird aus der Natürlichkeit Unbeholfenheit, und man wird den Eindruck nicht los, dass die massigen, ungeschickten Körper ausgestellt werden."
Wolfgang Höbel ist gar nicht begeistert von dem Film, in dem "eher laienhafte Darsteller ausgiebig in hart realistischen Sexszenen zu begaffen sind. Nebenbei wird die Bigotterie und Verkommenheit der mexikanischen Gesellschaft angeklagt und (spät) auch wüst mit Blut gepritschelt - der Regisseur ist der 34-jährige Mexikaner Carlos Reygadas, der mit JAPON bekannt wurde und nun das Genre des sogenannten Sozialpornos mit neuem Leben fällt."